Ebbi und Elke-die-Melke


01.07.2021

Jetzt mal etwas ganz anderes. Ich habe auf dem Dorf einen Nachbarn, der heisst Ebbi. Also eigentlich heisst er natürlich Eberhardt. Von Ebbi habe ich schon eine Menge gelernt, etwa, wie man ausgebüxte Kühe wieder einfängt (Ebbi ist Rinderzüchter von Beruf), aber auch allerlei darüber, wie Menschen so ticken, wenn sie keine Schlauköppe von der Universität sind, wie Ebbi das nennt.

Neulich stehen wir so mit unserem Nachmittagsbier an der Weide, da klingelt bei Ebbi das Telefon. „Gut Elke, ich komm hoch“, sagt er, legt auf und geht zum Traktor. „Da kommt se wieder nicht in den Kühlraum, ich muss mal aufschliessen fahren.“ – „Elke? Ist das die vom Hofladen?“, frage ich. – „Nee, Elke-die-Melke. Kennste nich? Halb sechs, Zeit fürs Abendmelken, mein Lieber, höchste Zeit!“

Oh, Ebbi, rolle ich mit den Augen. Elke-die-Melke. Junge junge. Und Tine die Tippse oder was? Und Paula die Putze. Geht's noch?

Na gut, mich nennt er schliesslich Schlaukopp, auch nicht viel besser.

Aber ich erzähle euch das jetzt hier nicht einfach als Schwank vom Lande, sondern ganz gezielt in Hinblick auf einen anderen Post von neulich, nämlich den über die Autohyponomie als sprachgerechtlichkeitliches Problem. Ein Problem, das immer dann entsteht, wenn eine übergeordnete Rollenbezeichnung zugleich auch eine(n) der Akteure bezeichnet, wie bei: Tischler: der Tischler <-> die Tischlerin. Man hat dann keine Möglichkeit, in neutraler Weise von der Rolle zu reden: „Wenn du Tischler werden willst“, scheint sich nur auf Männer zu beziehen, ebenso „Wenn du Arzt werden willst“, „Kunde“, „Radfahrer“, „Student“, „Pilot“, was auch immer. Und das ist nicht irgendein Problem, das man auf die leichte Schulter nehmen könnte, sondern es ist das Kernproblem des Geschlechtersprachenstreits.

Elke die Melke. Und dann gab's da noch die „Saftschubse“ im Flugverkehr. Viel mehr in dieser Art aber wohl nicht. Auch die Forschung hat dazu nicht viel zu sagen. Eine Dissertation* von 2012 bemerkt: „Bildungen dieser Art machen eine ausgeprägte abwertende Haltung erkennbar.“ Nun ja. Oh, Ebbi.

Andererseits.

Andererseits haben wir natürlich Wörter wie „Bote“ oder „Schütze“ oder „Vorfahre“. Auch auf „-e“. Oder „Schotte“. Oder „Schwabe“. Oder „Biologe“. Aber gut, die sind nicht unmittelbar von einem Verb abgeleitet wie „Putze“. Und sie sind nicht weiblich, sondern männlich. Aber sie sind jedenfalls nicht besonders abwertend. Vielleicht, weil sie nicht weiblich, sondern männlich sind?

Und andererseits-andererseits haben wir auch grammatisch feminine Wörter auf -e wie „Hilfe“ und „Wache“. Jedenfalls ist nichts dabei, zu sagen: „Ist das der Gärtner?“ – „Nee, das ist seine Hilfe. Der Gärtner kommt gleich.“ Und gegen eine „Wache“, die sich vor dem Tor gelangweilt eine Zigarette dreht, ist auch nichts einzuwenden. Und beide sind Kerle, die Hilfe wie die Wache. Oder, wartet mal – sie können ja auch Frauen sein. Geht beides. Und Elke die Melke könnte auch Kurt die Melke sein. Oder Arbogast die Melke. Sollte heute noch jemand den Namen Arbogast kennen.

„Einschränkend muss jedoch betont werden,“ weiss die besagte Dissertation darüberhinaus, „dass abwertende Personenbezeichnungen auf -e nicht reihenbildend sind.“ Will sagen, es gibt nur diese drei ziemlich lächerlichen Beispiele Putze, Tippse, Schubse und das war's dann auch. Na gut, plus Melke jetzt, dank Ebbi.

Als der davongebrummt war auf seinem Traktor, um den Kühlraum aufzuschliessen, dämmerte es mir allmählich. Mir, dem Schlaukopp. Elke die Melke. Das war im Grunde ... ein Froschkönig. Küss mich.

Helfen -> die Hilfe. Melken -> die Melke. Nimm ein Verb, weg mit dem „-n“, links ein „die“ davor gestellt, fertig ist die neutrale Rollenbezeichnung. Keine Autohyponomien mehr, keine verknotete sich selbst enthaltende Logik, keine geschlechtliche Schlagseite. die Melke: der Melker <-> die Melkerin. die Hilfe: der Helfer <-> die Helferin. Immer fein gerecht verteilt und eindeutig benannt. Keine Doppeldeutigkeiten, kein „mitgemeint“. Und die Rollenbezeichnung selbst steht auch noch im grammatischen Femininum. Besser kann es doch gar nicht sein! Eben: ein Froschkönig. Schlummert da vor sich hin in seinem Moderteich im Glassarg, und wartet darauf, wachgeküsst zu werden um sich in einen schönen Prinzen zu verwandeln, äh, in eine schöne Prinze. In eine schöne geschlechtsneutrale Prinze mit goldenem Haar, das sie uns nun gleich herunterlässt, damit wir uns daran zur Sprachgerechtigkeit hangeln. Märchenhaft.

Okay, ich weiss, was du jetzt denkst, liebe Kollege. Wieder so eine Pseudolösung wie die von dem Herrn Phettberg, der möchte, dass alle von ihren Freundys reden und bei Professorys studieren und zu Ärztys gehen und sich ihre Milch von Melkys aus dem Kuheuter zutzeln lassen. Lustig, aber albern. Und sicher nicht besser als das Gendersterny.

Ich kann das ja verstehen, dass du so denkst. Aber ich glaube auch, ich kann dich davon überzeugen, dass diese beiden Fälle – „liebes Kollegy“ einerseits, „liebe Kollege“ andererseits – nichts miteinander zu tun haben. Dass sie völlig unterschiedlich funktionieren. Und dass die E-Ableitung oder, wie man korrekter sagen müsste, die Ebbi-Derivation eine echte Alternative zu dem Geschlechts-Endungs-Verdopplungs-Bohei ist, mit dem wir derzeit ständig traitiert werden, und dass sie als einzige unter allen Optionen das Problem der sprachlichen Geschlechtergerechtigkeit wirklich und nachhaltig löst. Na gut, dass sie beiträgt dazu, es wirklich und nachhaltig zu lösen. Massgeblich beiträgt.

Leider ist dieser Post jetzt gleich zu Ende, daher nur drei Stichpunkte.

1. Die „abwertende Konnotation“ kann leicht in eine neutrale umgehört werden anhand von Modellfällen wie „Hilfe“. Wie schnell derartige Konnotationen sich ändern und sich sogar in ihr Gegenteil verkehren können, zeigt das Beispiel „schwul“.

2. Die E-Derivation ist nicht tot, sie schlummert nur. Jeder weiss, wie man solche Wörter herstellt, das Muster lässt sich augenblicklich aktivieren. Sie ist aber auch nicht aktuell produktiv wie die Y-Derivation (Phettberg-Ableitung). Sondern das Muster steht als Rohmaterial zur umdeutenden Wiederverwendung frei zu Verfügung. Es wartet auf uns!

3. Das Produkt der E-Derivation ist ein grammatisches Femininum (und nicht, wie „das Kollegy“, ein Neutrum, das seinen versächlichend-verniedlichenden Charakter niemals loswird). Und dieses feminin-Sein ist ein riesiges Plus. Denn den geschlechtlichen Binominalismus im Umgang mit Personen werden wir unserer Sprache noch über lange Zeit nicht austreiben können: Alles, was wir über Personen durch pronominale Konstruktionen sagen wie „jeder, der ...“, „keiner“, „man“, „Wer hat seinen Lippenstift im Bad vergessen“ und so weiter rastet unweigerlich grammatisch ins Maskulinum ein. Man kann das aber gegenbalancieren. Dadurch, dass man geschlechtlich neutrale Rollenbezeichnungen grammatisch ins Femininum schnappen lässt: DIE Hilfe. DIE Melke. DIE Pilote.

Wie würde das aussehen? Zum Beispiel so: Vom Verband der Landwirte (singular: eine Landwirte, plural: viele Landwirte) wird gesucht: eine Bürohilfe und eine Rinderhüte (halbtags), jeweils m/f/d. Bewerbungen bitte direkt an die Verbandsvorstehe Herrn Diekmann.

Könnt ich mich glaub ich ziemlich fix dran gewöhnen. In meiner Männlichkeit bekniffen werd ich jedenfalls dadurch nicht. Hat mit der ja nichts zu tun, ist ja nur ne grammatische Kategorie.

Na denn viele Grüsse und einen guten Start in den Monat Juli!

Eure Sprachphilosophe 


* Konnotation im Deutschen – Eine Untersuchung aus morphologischer, lexikologischer und lexikographischer Perspektive. Bettina Felicitas Birk (2012). online verfügbar

Zur im Text erwähten Phettberg-Ableitung: hier 

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