Meinen und Verstehen


09.09.
Habe ich dich überhaupt richtig verstanden? Was hast du eigentlich gemeint? Hast du vielleicht etwas anderes gemeint als das, was ich verstanden habe? 

Meinen und Verstehen – zwischen diesen beiden gibt es offenbar einen engen Zusammenhang. Jedenfalls deutet die sprachliche Alltagserfahrung darauf hin. Nicht nur kann ich anders verstanden werden, als ich „gemeint habe“, es kann auch geschehen, dass ich selbst etwas anderes sage, als ich meine (als ich hätte sagen wollen), und es gibt Fälle, in denen ich weiss, was ich sagen will (oder doch ein deutliches Gefühl habe dafür), aber partout keine Worte finden kann – ich meine etwas, kann es aber nicht artikulieren, und da ich es nicht artikulieren kann, kann ich auch nicht verstanden werden.

Aber nicht immer gehen Meinen und Verstehen derart auseinander. Im Gegenteil, in den meisten Fällen wird die eigene Äusserung wohl ungefähr so verstanden, wie man selbst sie gemeint hatte – was man allerdings erst aus der Gegenäusserung (gelegentlich auch einer nicht-sprachlichen Reaktion) erschliessen kann, die man dann wiederum selbst erst einmal verstehen muss, wobei sich das Problem der möglichen Diskrepanz zwischen Gemeintem und Verstandenem von Neuem stellt.

Und dann gibt es diese Fälle, wo die eigenen Äusserung zwar anders verstanden worden ist, als sie gemeint war, sich das aber nicht als ein Fehlschlagen des Austausches äussert, sondern im Gegenteil als ein Erfolg, etwa, weil man dadurch mehr über die Verstehensmuster des anderen erfahren hat oder eine Chance bekommen hat, seine eigene Artikulation oder sogar sein eigenes Meinen zu revidieren oder zu verbessern.

So bildet sich im Laufe des sprachlichen Austauschs Schleife um Schleife des Meinens, Artikulierens und Verstehens; Widermeinens, Widerartikulierens und Widerverstehens, Aber-wider-Meinens usw. Aber diese Schleifen liegen nicht zwangsläufig wie die Mäander eines sich windenden Flusses hintereinander; jederzeit kann die Bewegung aus ihrer Regelmässigkeit ausbrechen, können Windungen, Spiralen abzweigen und in Gebiete führen, die keiner der miteinander Sprechenden geplant hatte zu betreten, einfach weil das Verstehen einer der beteiligten Personen plötzlich nicht so vor sich geht, wie die andere es angenommen hatte, als sie ihr Meinen artikulierte.

In solchen Kommunikationssituationen werden im Regelfall nicht einzelne Wörter ausgetauscht, sondern längere Äusserungen, zumindest ganze Sätze, oft auch umfangreichere sprachliche Kompositionen. Aber man wird ähnliche Vorgänge entdecken, wenn man Einzelwörter betrachtet: da ist zunächst das Meinen selbst, das sozusagen die geistigen Inhalte versammelt, um die es gehen soll, darauf folgt das Artikulieren, das seinerseits auch wieder eine Art von Meinen beinhaltet (nämlich das Meinen des Wortes), und wie man diesen Meinens-Artikulierens-Komplex gestaltet, hängt massgeblich davon ab, wie man vermutet, verstanden zu werden.

Dass man bedeutungsvoll sprechen könnte, ohne etwas zu meinen, und sei es nur ein einziges Wort, scheint hingegen weder mit unserer Intuition noch unserer Erfahrung als Sprachteilnehmer zusammenzugehen.

To mean or not to mean


Man sollte daher annehmen, dass das Meinen in allen vier Typen etablierter Bedeutungstheorien (Referenztheorien, Konzepttheorien, Gebrauchstheorien, Wahrheitsbedingungs-Theorien) eine zentrale Rolle spielt, das ist allerdings nicht so.

Die Referenztheorien wollen überhaupt ohne das Meinen auskommen, sie halten die Instanz des Mentalen für irrelevant oder empirisch unzugänglich und bemühen sich, die zu eliminieren. Die Konzepttheorien hingegen stellen das Gemeinte (den „Gedanken im Kopf“) gerade in den Mittelpunkt: Für sie wird Bedeutung nicht durch „das Ding“ bestimmt, sondern durch „den Begriff“ (die Vermittlung mit der Welt ausserhalb des Kopfes geschieht dann über ein „semiotisches Dreieck“ aus Zeichen, Begriff und Ding, wie bei Ch. S. Peirce oder Ogden / Richards). Pragmatische Gebrauchs- oder Verwendungstheorien wie die Sprachspiele des späteren Wittgenstein oder auch behavioristische Theorien blenden wieder das Meinen wieder aus, während die Wahrheitswert-Theorien ihm gegenüber tolerant sind, sich aber eher für das Wissen („wissen, wann ein Satz wahr ist“) interessieren als für das „Meinen von etwas“.

Mir scheint es offensichtlich, dass eine Bedeutungstheorie (eine Antwort auf die Frage: Was ist die Bedeutung eines Wortes?) unmöglich ohne eine Berücksichtigung des Meinens auskommen kann. Allerdings ist eine einfache Bestimmung des Meinens als „das, was ich im Sinn habe“, „das, was ich sagen will“ wenig hilfreich. Erstens, weil die grammatische Transitivität dieser Meinens-Ausdrücke (ich meine dies und das) bereits eine bestimmte Vorstellung von Referenz mit sich bringt, einen unmittelbaren „Sachbezug“ – ob das Meinen immer einen Gegenstand hat, halte ich aber aus verschiedenen Gründen für eine offene Frage (man könnte sich Meinen auch vorstellen als eine eher generelle, aktive Aufmerksamkeit, die mit Inhalten angereichert wird, ohne zwangsläufig auf sie gerichtet zu sein). Und zweitens ist die Vorstellung, Meinen sei Meinen von etwas, problematisch, weil sie den Meinens-Prozess vom Kommunikations-Prozess abschneidet, weil sie vorgibt, man könne für sich allein meinen, solipsistisch meinen, und so das Schleifenhafte, das Rekursive des Sprachgeschehens nicht in den Blick bekommt.

Wenn ich nach einer besseren Bestimmung dafür suche, was es denn heisst, etwas zu meinen, komme ich zunächst wieder zu einer Formel. Diese Formel ist aber – im Unterschied zu anderen aus der Sammlung von letzter Woche – keine, von der ich glaube, dass sie allzu tragfähig, allzu weit-tragfähig ist. Der Formel Die Bedeutung eines Wortes ist, wie man es versteht traue ich zu, dass man auf ihr bis an den Rand der Welt reiten kann. Die Meinens-Formel bringt einen vielleicht gerade bis zur nächsten Ecke. Aber manchmal muss man ja auch gar nicht weiter. Und immerhin leistet sie etwas recht Nützliches, nämlich, die Meinens-Frage, die sonst sehr bereitwillig und sehr schnell in auf das Meinen von etwas einschwenkt, in eine andere Richtung, vielversprechendere zu leiten. Diese provisorische, mangelhafte, dennoch hilfreiche Formel lautet:

Meinen ist simuliertes Verstehen

bzw.

Meinen ist simulierte Entendenz 

Der Dreh- und Angelpunkt ist das Adjektiv simuliert. Simuliert heisst, in einer groben Annäherung, dass ich mir überlege, was der andere wohl verstehen wird (was seine Entendenz sein wird), wenn mich anschicke etwas zu sagen, bevor ich es dann tatsächlich sage. Simuliert funktioniert damit ähnlich wie in der anderen Formel aus den Notizen der vergangenen Woche: Wollen ist simuliertes fremdes Wollen. Aber natürlich muss detaillierter ausgearbeitet werden, was denn nun mit „simulieren“ genau gemeint [sic!] ist.

Intention, Intention und Intention


10.09.
Vorher muss man sich aber über etwas anderes Gedanken machen. Es gibt dieses schillernde Wort „Intention“. Schillernd ist es, weil es auf zwei verschiedene Weisen verstanden werden kann (die aber dann doch gar nicht ganz und gar verschieden sind): Einmal als Intention im Sinne der Absicht, die man mit einer Handlung verfolgt (oder auch mit einer sprachlichen Äusserung), also Intention als das, was man vorhat zu tun oder zu sagen, der Vorsatz, das Ansinnen. Das Wort wird meistens dann relevant, wenn das Ansinnen nicht umgesetzt werden konnte: Das und das ist passiert, meine Intention war aber eigentlich ... Das ist wahrscheinlich auch die handelsübliche Verstehensweise, diejenige, die man im Alltag überhaupt als einzige antreffen wird.

Und dann gibt es die Intention im Sinne der Intentionalität Franz Brentanos, die wiederum auf die intentio der mittelalterlichen Scholastiker zurückgeht und die dann über Husserl eine grosse Karriere in der Phänomenologie und in der modernen Philosophie des Geistes gemacht hat. Diese Intention (bzw. Intentionalität) wird üblicherweise charakterisiert als das „über-etwas-Sein“ geistiger Inhalte oder Zustände oder ihr „Handeln-von“ – man könnte annäherungsweise auch sagen, als ihr „Weltbezug“, was dann aber wieder so aussieht, als sei hiermit die „Referenz“ der Bedeutungstheorien des ersten Typs gemeint, was nicht ganz stimmt (denn die wollen ja gerade ohne eine Instanz des Geistigen oder Mentalen auskommen).

Bei Brentano gilt diese Intention geradezu als Abgrenzugskriterium zwischen Geist und Materie (oder, in seiner Terminologie, als Kriterium dafür, was „psychisch“ oder „psychologisch“ ist): Nur wo Geist vorhanden ist, kann auch „von etwas gehandelt werden“ – unter anderem von etwas, das in der „realen Welt“ gar nicht existiert. Denn man kann auch Geistesinhalte von menschfressenden Zyklopen haben, von Einhörnern oder von paradiesischem Frieden (deshalb sprach Brentano auch mit einem etwas seltsamen Ausdruck von der intentionalen Inexistenz).

Es steckt also schon genug in den beiden Spielarten von „Intention“, das Anlass zur Verwirrung geben kann. Weiter verkompliziert wird die Sache dadurch, dass die Sprachphilosophie nicht nur die Intention im Brentanoschen Sinne kennt, sondern auch noch die Intension, nämlich die „geistige Ausdehnung des Begriffs“ (alles, was man sich mental unter ihm vorstellen kann) im Gegensatz zur Extension, zur „realen Ausdehnung des Begriffs“ (all das in der Aussenwelt, wofür der Begriff stehen kann). Da möchte man sich doch am liebsten gleich mit etwas anderem beschäftigen. Aber wenn man die Frage klären will, was es heisst, etwas zu meinen, dann muss man sich mit diesen Konzepten von Intention und Intentionalität auseinandersetzen. Und sei es nur, um sie dann wieder über Bord zu werfen.
 
Schnitt. Und wieder zurück zum „Simulieren“.

Als wenn


Ich hatte neulich schon einmal im Zusammenhang mit der Formel Sollen ist simuliertes fremdes Wollen begonnen, mir über das Simulieren Gedanken zu machen. Mit Simulieren meine ich nicht „vortäuschen“ (to feign). Derjenige, der fremdes Wollen simuliert, täuscht kein fremdes Wollen vor, genausowenig wie derjenige, der Entendenz simuliert, fremdes Verstehen vortäuscht.

Was ich neulich zum Wollens-Simulieren geschrieben habe: „mit einem Teil meines Wollens in das Wollen eines anderen hineinsteigen“, lässt sich ganz ähnlich auch im Fall des Verstehens-Simulierens sagen. Fremdes Verstehen zu simulieren (also Entendenz zu simulieren) heisst, selbst in dieses fremde Verstehen „hineinzusteigen“, mich selbst zu meinem eigenen Meinen so zu verhalten, als wenn ein anderer es zu verstehen hätte. Das Simulieren ist also so etwas wie ein hypothetisierender Prozess (nicht eine Hypothese, denn es ist ja keine These), oder es ist eine Art von Probe, im Sinne einer Theaterprobe oder einer musikalischen Probe, eines rehearsal oder einer repetition, nur nicht eine Probe auf der wohlvertrauen Bühne des eigenen Kopfes, sondern auf der ungewohnten und gemutmassten des fremden.

Wie funktioniert das konkret ? Nehmen wir an, ich meine Hund. Und nun möchte ich mein Meinen artikulieren –

Halt! Hatte ich nicht oben geschrieben, es sei überhaupt nicht ausgemacht, dass Meinen angemessen begriffen werden kann als Meinen-von-Etwas? Hatte ich nicht schon gesagt, oder versucht zu sagen, dass mir die Transitivität von Meinen suspekt vorkommt? Und liess nicht mein kurzer Blick auf die „Intentionalität“ bereits erahnen, dass ich der Brentanoschen Vorstellung, geistige Akte oder Zustände wie das Meinen hätten die spezifische Qualität, über etwas zu sein, nicht sehr viel erklärendes Potenzial zutraue und sie zwar würdigen, aber lieber aus meinen Überlegungen herauslassen möchte? Und nun schreibe ich selbst: Nehmen wir an, ich meine Hund?

Man kann nicht aus seiner Sprache heraus, jedenfall nicht ohne weiteres, und man kann auch nicht ohne weiteres aus den Denkmustern heraus, die diese Sprache mit sich bringt. Sicher, wenn ich philosophiere, dann ist es gerade mein Vorhaben (meine Intention!), Sprach- und Denkmuster auf ihre Tauglichkeit hin zu befragen, mich ihnen eben nicht auszuliefern, ihre womöglichen Defizite offenzulegen, womöglich neue Muster vorzuschlagen. Aber wenn ich über die Sprache philosophiere, dann muss ich dabei zugleich die Sprache verwenden, und verwenden kann ich nur die, die bereits da ist. Und deshalb bleibt mir wohl kaum etwas anderes übrig, als, wenn ich ein solches Beispiel einführen will, zu sagen: Nehmen wir an, ich meine Hund, auch wenn ich auf einer tieferen, bisher nicht ohne weiteres artikulierbaren Ebene davon überzeugt bin, dass wir eben nicht Hund meinen, sondern dass Meinen irgendwie anders funktioniert, weniger intentional, vor allem weniger transitiv.

Nehmen wir also an – bedauerlicherweise, mit schlechtem Gewissen und entgegen der eigenen noch nicht explizierbaren Überzeugung – ich meine Hund. Oder nein, sogar das ist noch zuviel. Ich meine erst einmal nur jenes Tier. Und dieses Meinen ist bislang nur ein innerlicher Vorgang bei mir. Vielleicht möchte ich später etwas sagen wie „Was für ein grosser Hund“ oder „Achtung vor dem Hund!“ oder „Gehört der Hund zu dir?“, aber jetzt, in diesem Augenblick, da alles andere noch bevorsteht, was an Anreicherungen meines Meinens, Kontextualisierung meines Meinens, zunächst vagen, dann konkreten Meines von Wörtern, Artikulieren von Wörtern, Bilden von Sätzen und so weiter noch folgen könnte, bin ich nur beim Hund-Meinen, beziehungsweise beim jenes-Tier-Meinen

Nun will ich aber dieses Meinen teilen – und zwar durchaus in einem ähnlichen Sinne, wie man Inhalte in sozialen Netzwerken teilt: damit jemand daran teilnehmen kann. Nur brauche ich dafür kein digitales Medium, sondern die Sprache. Ich brauche ein Wort.

Welches Wort werde ich wählen, um mein jenes-Tier-Meinen zu artikulieren? Vielleicht das Wort „Ente“? Oder das Wort „Stein“? Oder besser das Wort „Gerechtigkeit“? – Ich vermute: keins von ihnen. Warum nicht? Weil ich bei keinem dieser Wörter die Hoffnung haben kann, dass der, dem ich sie mitteile, mein Meinen versteht. Mein vorsorgliches Simulieren seines mutmasslichen Verstehens würde anzeigen, dass da etwas nicht zur Deckung kommen kann. Ich habe mir vorgesellt, ich frage mein Gegenüber: „Gehört der Stein zu dir?“, und kam zu dem Schluss, dass sein Verstehen ihn dazu bringen würde, zu meinen, dass ich etwas anderes meine, als ich tatsächlich meine. 

Das klingt kompliziert, aber das ist es auch: All diese Prozesse sind in hohem Masse rekursiv und zirkulär. Es geht, wenn ich simulierend ein Wort auswähle, immer darum, was ich meine dass du wohl meinen wirst dass ich meine. Das sind metakognitive Figuren, wie man sie auch etwa in der Kommunikationslogik von Watzlawick et al. findet.

Gut. Die drei nicht. Aber welches Wort würde ich dann wählen? Dasjenige, bei dem ich aufgrund meiner Simulation davon ausgehen kann , dass es so verstanden werden wird, wie es meinem Meinen entspricht, dasjenige, dessen simulierte Entendenz mit meiner Intention (jetzt habe ich es doch gesagt!) zusammenfällt. Und welches Wort ist das?

Lasst mich überlegen. Ich sitze hier, und mir gegenüber sitzt Françoise. Und nun will ich mein jenes-Tier-Meinen artikulieren, und zwar so, dass ich davon ausgehen kann, dass Françoise meinen wird, was ich meine. Was werde ich sagen? „Hund“? Vielleicht. Ich denke aber, ich wäre nicht schlecht beraten, das Wort „chien“ zu artikulieren. Denn dann kann ich davon ausgehen (sagt mir meine Simulation), dass es sehr wahrscheinlich ist, dass Françoise meinen wird, was ich meine. Sässe dort nicht Françoise, sondern, sagen wir, Bogdan, dann würde ich mein jenes-Tier-Meinen vermutlich artikulieren durch das Wort: собака. Und so weiter ... – aber halt, ist das wirklich ein Modellfall?

Vielleicht nicht, wobei ...


Kann der fremdsprachliche Hintergrund meiner Adressaten tatsächlich ein Beispiel für die verschiedenen Verstehensvoraussetzungen verschiedenen Adressaten abgeben, die ich beim Vorbereiten meiner Artikulation simuliere? Ist es nicht eher so, dass ich schlicht das Bezugssystem wechsele, je nachdem, ob mir Françoise, Богдан oder Hildegard gegenübersitzen, und in jedem Bezugssystem einfach sage, was jemand in ihm eben sagt, wenn er sein jenes-Tier-Meinen artikulieren will und das gemeinte Tier ein Hund ist? Das könnte sein. Aber andererseits geht es mir persönlich durchaus häufig so, wenn mehrere Verkehrssprachen zur Auswahl stehen oder sich vermischen, dass ich durchspiele, simuliere, welcher unter den verschiedenen in Frage kommenden Ausdrücken denn nun am besten verstanden werden wird.

Aber dennoch bleibt das Beispiel problematisch. Denn selbst, wenn ich in Situationen mit sich vermischenden Verkehrssprachen eine Simulation in dieser oder einer ähnlichen Art durchführe, sagt das nicht viel darüber aus, wie der Weg vom jenes-Tier-Meinen zur entsprechenden Artikulation verläuft, wenn das sprachliche Bezugssystem eindeutig gegeben ist. Man kann wohl davon ausgehen, dass ich nicht jedes Mal tatsächlich solche Verstehensmöglichkeits-Proben durchführe, wenn ich irgendetwas Gemeintes artikulieren will. Es scheint so etwas wie sedimentierte Simulation zu geben, einen Fundus des bereits Simulierten, auf den ich im überwiegenden Teil der Artikulationssituationen zurückgreife. Was allerdings auch einfach nur heissen könnte, zwar nicht ich, dafür aber eine andere Person das Verstehen des entsprechenden Wortes in den entsprechenden Situationen simuliert hat, und nicht nur eine, sondern viele Personen, so viele – und mit so konsistenten, gleichbleibenden Ergebnissen – dass ich eben by default davon ausgehen kann, dass „Hund“ als Hund verstanden werden wird, ohne dafür im fremden Kopf extra meine Probebühne aufbauen zu müssen.

Was fehlt


Wenn ich es jetzt einmal Revue passieren lasse, dann war diese kleine Reflexion doch ziemlich hakelig. 

An der Intuition, dass das Meinen – oder das Artikulieren von Gemeintem, aber wie weit sich das vom Meinen selbst trennen lässt, ist fraglich – etwas, ach was sage ich: sehr viel mit simuliertem Verstehen zu tun hat, würde ich festhalten. Ich glaube überhaupt, dass das Simulieren ist ein zentraler Vorgang bei allem mentalen Akten, die eine Dimension des Sozialen oder des Kollektiven besitzen. Und da das auf so ziemlich alle mentalen Akte zutreffen dürfte (die Geistesinhalte in meinem Kopf kommen ja von anderen oder aus dem Kollektiven her, auch wenn ich sie dann individuell weiterverarbeite), ist das Simulieren überhaupt zentral für das Mentale (das Psychomentale, das Kognitive).

Aber diese Intuition argumentativ plausibel zu machen, ist dann schon wieder eine ganz andere Aufgabe. Zumal, wenn man sich dafür genau derjenigen sprachlichen und gedanklichen Modelle bedienen muss, an denen man ja eigentlich zweifelt, die man, offen gestanden, sogar überwinden will. 

Diese Problematik zeigte sich überall: An der Verwendung der Formel Meinen ist simuliertes Verstehen / Meinen ist simulierte Entendenz, die, wenn auch ausdrücklich als Kurzstrecken-Formel geplant, massive Fragen bezüglich des Verhältnisses von Meinen und Artikulieren offenlässt, ja die beiden auf eine Art und Weise miteinander vermengt, die ein analytisches Weiterarbeiten sehr behindert. Am gespaltenen Verhältnis zur „Intention“ à la Brentano, die man einerseits „irgendwie“ braucht, um diesen ganzen Themenkomplex zu durchdringen, die aber andererseits auch „irgendwie“ auf die falsche Piste führt. (Warum eigentlich? Was ist da falsch? Das ist mit den bisherigen Mitteln kaum festzumachen.) Und schliesslich am Wort meinen und seiner Grammatik selbst, der man sich kaum entziehen kann, jedenfalls nicht, ohne das eigentliche Thema für unabsehbare Zeit links liegen zu lassen.

Das ist alles ziemlich vertrackt, und eigentlich könnte ich mir jetzt die Haare raufen und den Text wieder löschen, wenn nicht – wenn er nicht doch eben immerhin bis zur nächsten Hausecke vorwärtsgekommen wäre und vor allem uns von einer anderen Hausecke, an die immer alle hinrennen (warum eigentlich), ein Stück entfernt hätte und wenn nicht, vor allem, ich doch eine ziemlich klare Idee davon hätte, warum das alles so vertrackt ist, und zwar in der Darstellung mehr als im Denken selbst (und zu irgendeiner Form von Darstellung zu gelangen ist ja schliesslich mein Programm mit diesem Notizbuch). Und diese Idee lautet: Es fehlen Voraussetzung, um die Sache so darzustellen, wie sie dargestellt werden müsste, es fehlt genaugenommen die eine, die entscheidende Voraussetzung, und das ist der Klang, das ist ein Gedankliches framework, innerhalb dessen man mit Klängen arbeiten, die Dinge akustische angehen kann, und das ist das framework, das bei mir sowieso alles umgibt, alles durchdringt, und mit dessen Auftauchen ich begonnen habe, irgendwie grundlegend anders zu denken, als ich das zuvor tat. 

Und ohne dieses framework hängt alles in der Luft.︎︎︎