Lächerlich!


16.09.
Lächerlich. Der Mensch ist kein Tier. Genauso wie der Schwanz kein Rücken und der Rücken kein Kopf ist. Kontinuitäten wachsen sich zu Distinktionen aus. 



(aus: Wollen: Seine Bedeutung, seine Grenzen, Münster 2016, Vorwort. N. Roughley, J. Schälike)

Der Mensch ist auch ein Tier, aber nicht vor allem.

Besonders lächerlich ist, dass die Denkweise „Menschen und andere Tiere“ hier implizit Thomas von Aquin zugeschrieben wird. Seine Auffassung zum Verhältnis von Mensch und Tier ist komplex (und nicht widerspruchsfrei), aber sie lässt sich sicher nicht in eine moderne Terminologie(-option), die den Menschen als Tier unter Tieren sähe, übersetzen.

Thomas hat einerseits den Begriff homo (Mensch), andererseits animal (am ehesten: Sinnenwesen, ggf. auch „beseeltes Wesen“) und schliesslich brutum, das vernunftlose Tier. Der Mensch fällt auch unter die Sinnenwesen, ist aber – wie bei Artistoteles – ein vernünftiges Sinnenwesen mit „Verstandesnatur“. Man kann also unmöglich Thomas’ animal mit dem modernen englischen animal oder eben dem deutschen Tier gleichsetzen.

Zudem ist die menschliche Seele bei Thomas unsterblich, während die tierische Seele mit dem Tod vergeht, ausserdem sagt Thomas, dass der Mensch das Tier zum Instrument machen dürfe, weil es ihm ontologisch und der Schöpfungsordnung nach untergeordnet ist (er hat, glaube ich, auch noch biblische Argumente dafür). Ein Tier zu töten ist für Thomas keine Sünde. All das macht die kategoriale Trennung deutlich, die bei Thomas zwischen Mensch und Tier besteht.

Eine moderne Auffassung darf natürlich nicht die von Thomas oder gar von Descartes, der Tiere überhaupt als Automaten betrachtete, reproduzieren. Sie muss aber auch nicht ins Gegenteil verfallen und eine totale Fraternisierung und Egalisierung des Menschen mit den Tieren anstreben.

Natürlich geht es heute immer um ein verantwortungsvolles Verhältnis zwischen Mensch und Tier, und das Subjekt dieser Verantwortung kann nur der Mensch sein.

(OK, bei nochmaligem Durchschauen: Ich lese den obigen Auschnitt vielleicht ein wenig böswillig. Die Autoren haben möglicherweise darauf gesetzt, dass ihre Leser mit der Problematik des begrifflichen Verhältnisses von Thomas’ animal und dem modernen Tier vertraut sind und selbst eine stillschweigende Bedeutungskorrektur ausführen. Vielleicht verdächtige ich sie zu unrecht, die Thomas’sche Unterscheidung zwischen Mensch und Tier verwischen zu wollen.

Dennoch: Wie liest man diese Sätze heute standardgemäss? Doch wohl so, dass sie implizieren, der Mensch sei Tier unter Tieren – full stop. Eine gutgemeinte Sichtweise, vor allem in Hinblick auf das problematische Verhältnis zwischen Mensch und übriger Natur, aber auch eine sentimentalistische und aktivistische.

Sicher sind existenziale Zusammengehörigkeitsgefühle von menschlicher Seite dem Tier gegenüber angebracht, aber sie dürfen nicht Unterscheidungen eliminieren,  die letztlich sogar Voraussetzungen dafür sind, das begründete Zusammengehörigkeitsgefühl zu operationalisieren, also das gemeinsame ökologische Schicksal von Mensch, Tier und anderen Lebewesen zu managen.)︎︎︎