Philosofiction


04.10.

Jede Philosophie ist im Kern eine Fiktion. Ihre Elaboration erzeugt Rationalität, ihre weitere Elaboration erzeugt Akademismen.


[Eine Philosophie – ein Philosophem – ist nicht ein Gedanke, der aus den Fakten herausdestilliert ist, sondern einer, der in Hinblick auf die Fakten erfunden wurde (fingere: bilden, gestalten, vorgeben; fact <-> fiction). Sie ist eine Fiktion, aber keine willkürliche (kein Phantasma), sondern eine realistische.

Diese Fiktion erscheint zuerst als Idee, als Ansatz – grob, undetailliert, vage. Der Ansatz muss, um verständlich und möglicherweise wirksam zu werden, ausgearbeitet, elaboriert werden. Geschieht diese Elaboration philosophisch (also nicht, zum Beispiel, literarisch), dann bedient sie sich rationaler Mittel – sie verwendet Argumente, Begründungen, Beispiele.

Die Rationalität ist nicht im Philosophem selbst angelegt (das ist vernunftmässig undifferenziert, neutral). Sie ist ein Resultat des rationalen Umgangs mit dem Philosophem, sie entsteht aus der Anwendung rationaler Mittel auf das Philosophem. Diese Anwendung ist kein Selbstzweck: Überelaboration führt nicht zu mehr Rationalität, sondern nur zu einer Vermehrung der rationalen Formeln. Der Diskurs wächst, seine Substanz schwindet.

Die Kunst der Elaboration besteht darin, aus dem Philosophem das passende, angemessene Mass an Rationalität zu gewinnen – nicht so wenig, dass es als reiner Gedankenblitz verglimmt, aber auch nicht so viel, dass es von Akademismen erstickt wird.]
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